Der "Hirnstein" vom Chiemsee

Ein Zeugnis lebendiger Geologie
Dieser besondere Stein, den Sie am Ufer des Chiemsees gefunden haben und der lokal oft als "Hirnstein" bekannt ist, erzählt eine faszinierende Geschichte von biologischen Prozessen, die Gestein formen können. Die auffällige, gewellte Oberfläche erinnert tatsächlich an Gehirnwindungen und ist typisch für biogene (durch Lebewesen entstandene) Kalkablagerungen.
Was sind "Hirnsteine" und wie entstehen sie?
Die von Ihnen gefundenen "Hirnsteine" sind in der Regel Onkoide (Singular: Onkoid) oder Teile davon. Onkoide sind kleine, unregelmäßige kugelige bis knollige Kalkkonkretionen, die durch die Ablagerung von Kalziumkarbonat um einen Kern herum entstehen. Dieser Prozess wird maßgeblich von Mikroorganismen, insbesondere Cyanobakterien (Blaualgen), gesteuert.
Der Entstehungsprozess lässt sich so zusammenfassen:
- Kernbildung: Ein kleines Partikel wie ein Sandkorn, ein Muschelstück oder ein Pflanzenrest dient als Keim.
- Bakterielle Besiedlung: Cyanobakterien besiedeln diesen Kern und bilden schleimige Matten auf seiner Oberfläche.
- Kalkfällung: Die Bakterien verändern die chemische Umgebung in ihrer unmittelbaren Umgebung so, dass Kalziumkarbonat aus dem Wasser ausfällt und sich in feinen Schichten auf der Oberfläche ablagert. Dies geschieht oft durch die Photosynthese der Algen, die Kohlendioxid verbraucht und damit das Wasser weniger sauer macht, was die Kalkfällung begünstigt.
- Wachstum: Durch ständige Bewegung (z.B. durch Wellen oder Strömungen) im Wasser werden die Onkoide immer wieder gedreht, sodass die Algen auf allen Seiten wachsen und sich Kalkschichten gleichmäßig anlagern können. Dies führt zu den charakteristischen konzentrischen Lagen im Inneren und der oft unregelmäßig gewundenen Oberfläche.
- Oberflächenstruktur: Die unregelmäßige "Hirnform" entsteht durch das ungleichmäßige, knollige Wachstum der mikrobiellen Matten, die sich an die Oberfläche anpassen und gleichzeitig neue Kalkschichten bilden.
Wo findet man sie? Onkoide sind typisch für flache, kalkreiche Süß- oder Brackwasserumgebungen mit geringer bis mäßiger Strömung, wie sie in bestimmten Bereichen des Chiemsees oder in anderen kalkalpinen Seen vorkommen. Im Chiemsee sind sie an vielen Stellen häufig zu finden und werden dort oft als "Seekies" oder eben "Hirnsteine" bezeichnet.